Mittwoch, 1. Juni 2022

Juni



Es ist Juni,

Sommernächte fliegen ohne Hast, verweilen kurz und schläfrig,
über Dächern und dem frisch gestoch´nem Torf.
Eine Meute kleiner Jungen streift ein letztes Mal für diesen Tag,
durch das abendlich nach warmen Kühen duftende Dorf ...







Tratsch im Treppenhaus. Na gut, dann tratschen wir mal büschen.

Die Welt ist momentan recht eckig. Alles soll teurer werden, sagen die Leute. Benzin billiger, aber das wäre ´ne Finte, sagen die Leute. Ah geh, ich will nur leben, sag´ ich den Leuten, man muss den Wolken trauen. 
Die Versicherung will einen kleinen Teil der Werkstattrechnung vom vandalen Kratzer am Skoda nicht übernehmen. Die Werkstatt will sich mit mir vergleichen, jeder die Hälfte. Irgendwie stimmt bei beiden Institutionen was nicht, denk ich, mal die Anwältin fragen. Die denkt das auch. Geht´s Ihnen um´s Geld oder um´s Prinzip, fragtse mich. Nö, sach ich, nicht um´s Prinzip, ich hab ja kein Weltbild. Dann geben Sie der Werkstatt die Hälfte und machen sich einen schönen Tach. Und recht hatse, kluge Frau. 
Das Wetter ist fast so launisch wie Cleo. Seit der Sache mit Kachelmann kannste die Vorhersagen knicken. Aber die Freude an Katastrophenwarnungen ist unübersehbar. Zeig´ mir das Land, wo der Feuervogel wohnt, der mit Liebe uns belohnt ...
Am 15. Juni eröffnet die Matjessaison, bei Bodes, Premiummatjes soweit das Auge reichen wird, dann werd´ ich wieder zum Seelöwen. Sonntag kommt zum fünften Mal Spargel auf´n Teller, acht Stangen Jumbospargel regional, käseüberbacken, für jeden. Die Spargelbauern sind frustriert, wollen Teile der Ernte vernichten, weil Preise zu niedrig, außerdem kauft keiner mehr Spargel, ist den Leuten zu teuer in Zeiten der allgemeinen Geldnot. Irgendwie ham wir da andere Prioritäten. 

Genug getratscht. Noch Fragen, Hauser?






Les Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen), Gedichtband von Charles Baudelaire (1821-1867). 
Die Erstausgabe führte zu einem Verfahren, Baudelaire wurde wegen Verletzung der öffentlichen Moral verurteilt.





Nö, nech, jetzt kommt der wieder mit Gedichten ...








Gestern mal wieder Jiffel auf Bio-Eis gehabt. Da kommt der "Snuten lekker" ins sommerliche Spiel, Hof Kaemena. 

Der Hof liegt inner Mitte vom Wümmedeich, legalerweise mit dem Auto nicht erreichbar, das ist auch gut so. Bio-Eis ist bei uns also stets mit einer Radtour verbunden, ´ne Dreiviertelstunde hin, ´ne Dreiviertelstunde zurück, der Rundkurs dauert büschen länger, ist dafür spannender, so sagt man ja heutzutage wohl, spannender isser.

Die Kugel ist Jahr um Jahr teuerer geworden, wie vieles andere auch, klar. Gestern hatse einsachtzig gekostet. Wenn uns der Teufel reitet, und er reitet oft, dann vertilgt jeder vier dieser eisigen Bällchen, achte also, ist schon ein Posten. Irgendwann wird uns so ein "Snuten lekker-Ausflug" den Gegenwert eines Wochenendes auf Helgoland aus der Tasche ziehen, dann schau´n wir mal ...







Neues aus Uhlenbusch. Wer erinnert sich? Onkel Heini, der Postbote auf´m Fahrrad. Das Leben in einem norddeutschen Bauerndorf, Kinderserie Ende der 70er, ZDF. Erwachsene und Kinder auf Augenhöhe, selbstverständlich, natürlich, wie gewachsen. Hab´ ich gern gekuckt. Da war ich Mitte 20, da war die Kindheit am Verblassen. Hab´ mich dann aber bald gegen ein Erwachsenenleben entschieden, zu anstrengend ...

Für Gockel Konstantin macht Fliegen keinen Sinn, 
er muß am Boden bleiben und uns die Zeit vertreiben.
Au weia, au weia, der Hahn legt keine Eier ...



Wir sind ja Liebhaber der DHL-Packstationen. Feine Sache, man ist vom Paketboten unabhängig, zumindest zeitlich, holt sich sein Paket selbstbestimmt aus der Station. Und der Bote freut sich auch, erspart werden ihm Nervereien und trostlose Zustellversuche. Früher bekam man eine SMS, heute läuft alles über die App auf´m Smartphone. Keine Pin´s mehr, QR-Code vor den Scanner halten und der DHL-Sesam öffnet sich. Aber es kommt noch besser: Auch bei Retouren bekommt man den QR-Code auf´s Handy, scannt, und der selbstklebende Retourenschein wird von der Station ausgedruckt, draufkleben und ab die Post. Wunderbar, kein Warten auf den Boten, kein Schlangestehen am Schalter, nicht mal den Rücksendeschein muss man selbst ausfüllen. Genug der Werbung.

Heutmorgen ging eine Retoure auf den Weg. Wir bestellen oft. Die große Auswahl im Netz, das bequeme Bestellen, sicher zahlen, unproblematisch retournieren, so definiert sich Kundenfreundlichkeit. Natürlich sind mir die Kritikpunkte an Amazon bekannt. Ich gehe auch davon aus, daß meine Bank unsaubere Geschäfte macht, zumindest den Profit klar über die Ethik stellt. Und natürlich hatte Brecht recht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Weiß ich alles. Und noch mehr. Mein Zimmer ist windstill, hier wohne ich und ahne vieles.

Allerdings schütte ich keine 20 Flaschen Rapsöl gewollt staubildend über den Zubringer, um gegen Lebensmittelverschwendung zu demonstrieren. Ich lasse auch keine Nerze aus der nächsten Zuchtfarm frei, um mehr Tierrecht anzumahnen, und überlasse die überlebensunfähigen Tiere sich selbst und damit dem Tod in der Zivilisation. Und ich klebe mich, gegen irgendwas demonstrierend,  auch nicht mit den Händen auf den Asphalt, um den Vollzugsbeamten die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu erschweren. Nein, das alles tue ich nicht. Ich bestelle, was ich brauche, zum Leben benötige oder einfach auch mal nur haben möchte, online. Ich wollte das nur mal gesagt haben. Aber wahrscheinlich interessiert das eh kein Schwein.

Zurück zum heutigen Morgen, zur Packstation, die Retoure, wir erinnern uns. Es ging dabei um eine Bestellung auf Frauli´s Namen, und der QR-Code kam demnach auf ihr Handy. Aus diesem Grund, und wirklich nur aus diesem, nahm ich ihr Handy mit. Alles lief glatt, rund und treffsicher ab, Klappe zu, the package on its way. Jetzt nahm das Verhängnis seinen Lauf. Aus Mangel an freien Jackentaschen steckte ich Frauli´s Handy in die linke, recht unzuverlässige, schräge Seitentasche. Wieder daheim war das Handy nicht mehr da. Auha, schlecht, ganz schlecht. Wird wohl im Auto zwischen Sitz und Tür liegen, war die Hoffnung. Sie erfüllte sich nicht. Ich wurde nervös. Es wird mir vor der Packstation aus den Tasche gerutscht sein, Hoffnung Nummer 2. Nein, leider auch nicht. Mehr Nervosität kam auf. Atmen, ein, aus, ein, aus. Orten! Handysuche, ein Lob der digitalen Alltagswelt. Da! Da war es, unser Handy. Wo denn genau? Aha, nicht weit weg, aber es bewegte sich. Jemand hatte es gefunden, mitgenommen und nannte es vermutlich schon sein Eigen. Einfach anrufen? Dann würde der "Entführer" wissen, dass seine frevelhafte Tat nicht unbemerkt geblieben war. Ich war unsicher. Die Ortung bezieht sich auf einen Ort, sie zeigt mir nicht an, wer das Phone in seiner Tasche hat, in welchem Auto sich mein Handy gerad befindet. Jetzt, jetzt bewegte sich der Punkt nicht mehr. Zoomen, vergrößern, wo war der Punkt? Atmen, ein, aus, ein, aus. Da, in einer Firma, Spedition oder so. Nichts wie hin. Dem jungen Mann an der Information mein Problem erzählt. Das Handy muss hier bei Ihnen sein, seh´n Sie, hier ist der Ortungspunkt. Aber er konnte mir nicht weiterhelfen, wußte von keinem Handy. Ich fuhr noch büschen die Gegend ab, bewegte sich der Punkt wieder? Vielleicht hat´s einer inner Hand oder am Ohr, an der roten Hülle würd ich´s erkennen. Die Zeit der Aufgabe war wohl gekommen, man muss auch verlieren können – und wenn´s nur ein Handy ist. Der letzte Gedanke: Doch anrufen, es gab nichts mehr zu verlieren.

Es läutete dreimal, dann hatte ich eine Frau am Ohr: Hallo? Haben Sie mein Handy gefunden? Ja, hatte sie. Sie war mit dem Rad auf dem Weg zur Arbeit und hatte es liegensehen, auf der Straße, auf meiner Straße, da war´s mir aus der Tasche geplumst. Und die nette Frau, in dem Moment die netteste die ich kannte, arbeitete tatsächlich in der Firma mit dem ahnungslosen jungen Mann. In drei Minuten war ich da. Es gibt Situationen, da fühlt man sich einem völlig fremden Menschen sehr verbunden, weil man ihm unendlich dankbar ist.

Wir hielten den coronamäßigen Abstand, kein Händegeben. Ich hatte das Handy wieder, war wahnsinnig erleichtert. Natürlich gibt’s Schlimmeres als ein verlorenes Smartphone, sicher. Aber während der halben Stunde dieser verzweifelten Suche, der frustrierenden Ortung, da war´s das Schlimmste.

 Und wenn Sie mal ´ne neue Niere brauchen, können eine von meinen haben, rufen Sie einfach an, jederzeit! Und die nette Frau lachte: Ja, mach ich ... 





Sie sind da. Einfach da. Und irgendwie ist nichts mehr wie vorher. Alles ist ins Rutschen gekommen. Prioritäten sind verschoben. Wenig Freunde, keine Feinde. Gourmet-Matjes, von Bodes. Man kann sie nicht beschreiben. Sie sind unbeschreiblich.




Manchmal, vor´n paar Tagen beispielsweise, schiebt sich mir ein Satz (von Stephen King, glaub´ich) in den Sinn:
Über unseren Köpfen kreisen Welten. 
Das irritiert dann meine Alltagswahrnehmung, macht mich träge, antriebsschwach. Das lange überfällige Abheften bezahlter Rechnungen, oder unbezahlter, Haftprüfungstermine oder sonstiger Formalitätenunfug, büßt massiv an Dringlichkeit ein.
 Auch das Einstellen und Fetten der hin und wieder knackenden Gangschaltung am Citybike meiner Gemahlin erscheint trivial. 
Und überhaupt. Genau, überhaupt ...






Keiner von uns kommt lebend hier raus. Also hört auf, euch wie ein Andenken zu behandeln. Esst leckeres Essen. Spaziert in der Sonne. Springt ins Meer. Sagt die Wahrheit und tragt euer Herz auf der Zunge. Seid albern. Seid freundlich. Seid komisch. Für nichts anderes ist Zeit. 

Anthony Hopkins (*1937)





Gestern wurde die Zähleranlage für die Stromversorgung im Keller erneuert. Zwei Mann hatten den ganzen Tag gut zu tun. Schön. Allerdings musste der Strom von 8 - 16 Uhr abgestellt werden. Naja, der Kühlschrankinhalt hält das aus, das Barffleisch im Gefrierschränkchen wohl auch. Licht, Fernsehen und PC gehen auch nicht, kein Radio, kein DVD-Player, kein Festplattenrekorder. Kein Router, kein Festnetz, kein WLAN.
Was soll´s, da geh ich mit Cleo ausgiebig zu den Schwänen am Goldenen See, also an die Hamme, da wird geschwommen und im Gras gelegen. Kochen geht natürlich auch nicht, nicht mal Nudeln. Der Wasserkocher kocht kein Wasser: kein Kaffee, kein Tee. Vertreibt man sich die Zeit am Smartphone, da kann ich paar Folgen Rentnercops kucken, mir den Irrsinn der Welt um die Ohren hauen, rumdaddeln digital. Ach so, irgendwann will der Akku speisen, Aufladen geht ja nicht, dann wird´s einsam. Ich könnte die Wohnung mal ... nö, der Staubsauger braucht Energie, also nicht. Zum Frisör könnt´ ich gehn, aber da wird umgebaut. Zum Urologen? Niemals! Ein gutes Buch lesen. Sind selten. Und dann bei strahlendblauem Himmel, draußen hat die Luft 25 Grad und der Strom ist weg? Unter solchen Bedingungen kann ich nicht lesen, läuft überhaupt nicht. Die Blumen auf dem Balkon könnte ich gießen. Oder einen Waffenschein beantragen, BRÜLL ... Zurück zur Natur, zum natürlichen Leben, wenigstens für einen Tag. Was ist denn ein natürliches Leben? Cleo, sach mal. Sie dreht sich auf den Rücken, Kopf in Nacken, Beine ausgestreckt, Augen zu, büschen blinzelt sie noch.
 Fünfzehn Uhr. Frauli kommt vom Job. Wie war´s? Gut. Ich mach uns Mozzarella-Tomaten, nech, das geht ohne Herd. Genau, mit viel Basilikumblättern, saftig, grün, frisch, Bio. Und dann ... ein Piepen ... der Router ist angesprungen ... keine neuen Nachrichten, sagt der AB ... STROM!!!





"Durch diese hohle Gasse muss er kommen.
Es führt kein andrer Weg nach Küssnacht.
Hier vollend´ ich´s. Die Gelegenheit ist günstig".

(Cleo spielt Wilhelm Tell, talentiert isse schon)


















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