Freitag, 1. Juli 2022

Juli

 






Es stirbt die Nacht,
wird sie vom Tag entbunden.
Der große Zeiger überholt den kleinen,
und atemlos stirbt auch der Tag.





Cleo ist von allen unseren Hunden die Vielseitigste. Sie hat wirklich viele Seiten. Und damit sind weniger ihre Talente gemeint, die hat sie natürlich auch, mehr ihre Stimmungsschwankungen, Launen, Empfindungsvarianten, die Facetten ihrer Affektivitäten, die ganze Palette dessen, was durchaus mit dem Adjektiv "anstrengend" bezeichnet werden könnte. Hält uns jung oder bringt uns vor der Zeit ins Grab, wie im richtigen Leben.

Es ist also Morgen, er graut. Der Reißverschluß ihrer Schlafboxtür macht sein typisches Geräusch, ritschratsch, und Cleo betritt die Bühne des aktuellen Tages. Aber wie betritt sie? Wie immer? Üblicherweise? Nö, immer anders. Mal gemächlich, mal lustlos sich streckend, mal fröhlich aufgekratzt losstürmend, mal abgeklärt schlurfend, mal überschwänglich die frisch geklaute Socke vom Vortag um sich schleudernd, mal voller Tatendrang, mal früh schon vom Überdruss gepeinigt. Und so geht´s dann weiter, man weiß nie, was kommt.






Manchmal ist sie cool und gelenkig drauf, dann bringt sie kaum was aus der Ruhe. 
Obwohl Autobahnbrücken nicht zu ihren Lieblingsplätzen gehören ...






So, Samstag, Sonnabend sacht der Bremer, Saturday-Werderland-Fever, sozusagen. Zwei Stunden unterwegs, die erste Hälfte am Stahlwerk lang, da gibt´s Schatten durch die Bäume, viele große alte Bäume, beidseitig des naturbelassenen Weges. Toten Maulwurf gefunden, der Herr wird seiner kleinen Seele gnädig sein. Dann anner Moorlosen Kirche vorbei und an Pater Brown alias Heinz Rühmann gedacht. Der Rückweg verläuft über den Ökopfad, schöner Pfad, aber kein Schatten, und da wären´s nur 25 Grad gewesen. Erbarmungslos wurden unsere Konditionen getestet, von wem auch immer. Test bestanden, mit Bravour, beide, uns schaffen die nicht!

Und ganz unten auf der Scheibe über´m Gemüsefach, ist die kälteste Stelle im Kühlschrank, da stehen einige Fläschchen 
fritz-spritz Bio Rhabarberschorle. Wie die Queens Guard vor dem Buckingham Palace, bereit zur Wachablösung, Prosit!





Manic Monday? Ach was, solche Tage verbieten wir uns.
Jeder Tag hat seine Chance, manchmal braucht´s die zweite.


Gestern Radtour zum Bio-Eis gemacht. War ´ne Menge los auf´m Deich. Und dann Schlange steh´n am Tresen. Gar nicht so mein Ding, Ungeduld ist eine meine vielen Stärken. Oder Ausdruck einer latenten Arroganz, vielleicht. Immerhin war mein familiärer Kosename inner Kinderzeit "Prinzi". Das prägt einen schon für´s Leben. Nur Oma machte da nicht mit, die erdete gern. Für Oma war ich "Pinzel". Ach ja, die Oma, die Oma ...

Wo ich gerad bei Oma bin: Opa war auch ´ne Nummer! Mein eigentliches Vorbild vermutlich. Ein in sich ruhender, innerlich unabhängiger Rentner, Taubenzüchter. Hab´ viel Zeit mit Opa im Schlag verbracht. Das monotone Gegurre, die trockene warme Luft, ein Universum für sich. Wie die Festlandvergessenheit der Seeleute.

Einmal schenkte mir Opa eine Taube, Nummer 27, die war nun meine. Die steckte er mir zum Mitnehmen in so einen kleinen Kanarienvogelkäfig. Als ich damit dann zuhause ankam, stolzer Taubenbesitzer, bekam meine Ma einen mittleren Anfall, klemmte den Käfig mit Taube auf den Gepäckträger und radelte etwas unwirsch zu Opa auf´s Land, zum Zwecke der Reklamation. Der amüsierte sich wohl köstlich, hatte die Reklamation natürlich erwartet. Auf den Preisflügen legten seine Tauben locker 500 Kilometer Luftlinie zurück und landeten zielsicher im Schlag. Und nun brachte ihm seine Tochter für fünf Kilometer die Taube persönlich vorbei. Ja, ja, der Opa, der Opa ...







Der Grusel auf der Fensterbank. Unsere Canivoren machen sich echt gut. Wenn man keine Fliege ist, entwickelt sich da eine Art von Freundschaft. Allein der Name "Venusfliegenfalle" beflügelt Phantasien. Die gedeihfördernde Haltung ist nicht sehr schwierig. Die richtige Erde beim Umtopfen, richtiger Standort (Vollsonne oder Halbschatten), richtig gießen, that´s all. Und mit dem Barfen ham wir ja eh Erfahrung.






Ich wär' so gern dabei gewesen,
doch ich hab´ viel zu viel zu tun.
Lass uns später weiter reden,
da draußen brauchen sie mich jetzt.
Die Situation wird unterschätzt,
und vielleicht hängt unser Leben davon ab.
Muss nur noch kurz die Welt retten ...






Cleo hat immer mal Phasen kleinerer Lahmheitsanzeichen, besonders nach dem Aufstehen aus Ruhezeiten. Aktuell wird vorne links geschont. Sie läuft sich schnell ein. Unsere Osteopathin kennt das bei Cleo. Jetzt wollten wir aber doch eine bildgebende Diagnose, also digitales Röntgen schien angesagt. Aber wo und von wem? Die entscheidende Frage. Denn Erfahrungen mit mittelmäßigen Tierärzten und Tierärztinnen (euphemistsich formuliert) haben wir in den letzten Jahrzehnten ausreichend gemacht. Die Wahl fiel auf die Klinik für Kleintiere Sottrum (klick), inhabergeführt, mit GVP-Siegel. Das allein hört sich schon gut an, man braucht aber den richtigen Arzt, mit passendem Schwerpunkt, Sympathie ist auch wichtig. Was bringt uns eine junge Ärztin mit Schwerpunkt Hauterkrankung oder Weichteilchirurgie - wir brauchen einen Orthopäden. Und den haben wir da auch gefunden, Termin gemacht, gestern dagewesen, richtige Wahl getroffen. Freundlich neutraler Doc, mit Zeit zum fragen und zuhören, gutes Feeling zum Hund, ausgiebige Lahmheitsdiagnostik draussen mit Cleo in Bewegung. Und dann wurden Cleo´s Gelenke auf dem Tisch durchgekurbelt, Rücken, Hals, Beine vorne und hinten. Da war ich schon verblüfft, wie zupackend da einer rangeht, der weiß was er tut. Und Cleo hielt gut still. Dann waren die Vorderpfoten, die Zehgelenke dran, und da zeigte Cleo Unbehagen. Aha. Ich nehm´ sie eben mit zum Röntgen, sprach der Doktor, und so geschah´s. Cleo ging anstandslos mit, sie vertraut. Ich wartete. Dann hörte ich, wie ein Mensch von einem Hund den Gang entlanggezogen wurde. Cleo stürmte, die junge Assistentin im Schlepptau, ins Zimmer, nickte mir kurz zu und legte sich zu meinen Füßen breit auf den Boden. Die hat aber Kraft, war der freundliche Kommentar. Dann kam der Doc und erklärte mir die Röntgenbilder. Ellenbogen und Schultergelenk ok., an einigen Zehen eine leichte Arthrose. Da also liegt der Hase im Pfeffer. Die Gabe von Tabletten, schmerz- und entzündungshemmend, ist keine Option, so der TA, lokale Therapie, also Salbe zweimal täglich, und büschen schonen. Gut. Wir machen jetzt erstmal die Retterspitzwickel, klick, und geben Navalis arthral, klick, dauerhaft. Alles weitere wird beim Termin Anfang August mit Cleo´s Osteopathin besprochen. Ein moderates Kilo abnehmen würde auch nicht schaden, klar, weniger Gewicht auf den Zehen. Der kleine schwarze dicke Hund ist nun weit entfernt davon, dick zu sein, Taille ist da, Rippen fühlbar, und selbst bei Portionsreduktion will der Körper nicht deutlich unter die 25 kg. Aber wir werden ernsthaft an den 24 arbeiten, versprochen.





Kühlung tut not, heute sollen bis 35 Grad werden. Jetzt fahr´n wir erstmal zum Schwimmen anne Hamme. 
Dann gibt´s Mozzarella-Tomaten mit Basilikumessig aus´m Kühlschrank.





Gestern war´s nun wirklich warm. Viel draussen rumwackeln war wenig sinnvoll. Cleo hat sich früh am Tag mit Hammewasser abgekühlt, dann gab´s nur noch drei kurze Pipigänge um die Häuser. Dank guter Isolierung und kluger Lüftung, Jalousien runter, Ventilator arbeiten lassen, Adventskranz ausgepustet, krabbelte die Zimmertemperatur nicht über 25 Grad. Traumhafte Klimabedingungen herrschten im Treppenhaus, ist natürlich nicht so gemütlich da. Beim Öffnen der Haustür, und dem ersten zaghaften Schritt in die Wirklichkeit da draussen, traf mich die 40 Grad-Keule in mir unbekannter Härte, Boing! Naja, ich war ja auch noch nie so alt wie gestern …

Cleo wollte übrigens wissen, was denn nun diese Schwarzen Löcher eigentlich sind. Als intellektueller Mittelgewichtler kratze ich da schnell an den Grenzen meiner Möglichkeiten. Fummelte aber beherzt mein Kinderwissen aus der Hosentasche und zog es etwas in Länge und Breite, wie eine gut durchgekaute bunte Kaukugel aus den Automaten der 60er Jahre. 

 Also, Cleo, stell dir einen Stern vor, eine Sonne, viel größer als diesen uns gerade quälenden Gasball. Und so ein Stern muss auch irgendwann sterben, nichts ist für die Ewigkeit. Irgendwann geht ihm der Brennstoff aus. Dann bläst er sich kolossal auf, wird zum Roten Riesen. Anschließend fällt er in sich zusammen, wird zum Weissen Zwerg. Tja, wie im Märchen, fast. Zum Ende kollabiert er total, wird Opfer seiner eigenen Anziehungskraft, verdichtet sich ins Unbegreifbare, ist dann kein kugeliges Ding mehr, auch kein Loch, sondern ein Gebiet im Universum. Mit einer derartigen Anziehungskraft wird alles ringsum eingesogen und nie wieder freigegeben, selbst das Licht. Wenn Licht nicht mehr reflektiert wird, dann kann man nichts mehr sehen, wie auch, klar. Diese Gebiete im All, die seit 1967 als Schwarze Löcher bezeichnet werden, können nur durch die Auswirkungen ihrer Gravitation, durch Röntgenstrahlung und so weiter (spätestens hier ist mein Kaugummi am Limit) erkannt bzw. vermutet werden. Für das universelle Funktionieren sind sie unverzichtbar, wie der Weisse Hai für die Ausgeglichenheit der Meere. 

So, Cleo, mehr weiß ich jetzt auch nicht, biste enttäuscht von Herrli? Nein, isse nicht. Mein Hund muss mich nicht klein machen, um sich selbst groß zu fühlen. Cleo nimmt mich, wie ich bin. Daran versuche ich mich stets zu erinnern, wenn sie durch ihre Eigenwilligkeit meinen Kragen zum Platzen bringt. Ach ja ...






Wir lesen momentan ein Buch von Reinhold Messner: GOBI. Mit 60 Jahren issis eher schwierig, einen Achttausender zu besteigen, ausserdem hadder die ja alle gemacht. Also geht man durch die Wüste, tausende Kilometer, wochenlang, weitestgehend auf sich allein gestellt. Nun kann man Messner getrost als Egomanen bezeichnen, klar. Viele ham damit ihre Schwierigkeiten. Aber obwohl ich im Ansatz ein neurotisches Autoritätsanerkennungsproblem habe, ist aber mit den Jahren besser geworden, hab´ ich mit Messner kein Problem. Ich finde den gut, der Mann hat eine echte Lebensleistung gebracht, weiss immer, was er sagt, meint das auch – kein Harald Juhnke in Wanderstiefeln. Na gut, Sympathie ist Ansichtssache.

Gestern Abend nun nimmt meine Frau das Buch während des Lesens kurz runter und sinniert: Also, ich finde den Messner ja ziemlich arrogant. Der meint, er dürfte als einziger durch die Welt stiefeln, auf Berge steigen, zum Südpol wandern oder durch Wüsten. Und natürlich ist da was dran. An allem, was meine Frau sagt, ist was dran. Messner betont seit Jahrzehnten, was er vom Umgang der Menschheit mit der Natur, und dem Globaltourismus hält: Nichts! Auf den Mount Everest kommt heutzutage jeder Normalverdiener in geführter Touristengruppe leichter, als ich nach Helgoland, da war ich nämlich noch nie. Mit Schnorcheln in Korallenriffen und Trips durch Wüsten issis nicht anders. Und die Folgen sind immer übelst, da ist der hinterlassene Müll nicht mal das größte Problem. 

Messner ist nicht einfach zu tief in eine elitäre Selbsterhöhung gerutscht, nö, kann ich nicht finden. Recht hadder! Messners Respekt, geradezu Ehrfurcht, vor der Natur, der Erde, dem Leben, steht doch ausser Frage. Messner hat immer nur mit der Natur gemacht, nie gegen sie, hat sich ihr immer angepasst und untergeordnet, sonst wär´ er längst tot, klar. Und diesen fehlenden Respekt des modernen Menschen, der sich exemplarisch auch im weltweiten Tourismus zeigt, den kritisiert er. Da sagt er (mit meinen Worten), was wollen diese Überflusswesen auf dem Mount Everest oder in der Wüste? Die Frage darf man stellen. Aber natürlich darf meine Frau ihn auch nicht ganz so sympathisch finden, wie ich, natürlich.

Und irgendwie bin ich auch ein kleiner Messner, ein ganz kleiner. Vor paar Tagen bin ich doch mit Cleo früh am Vormittag, bei bewölktem Himmel, Nieselregen, durch´s Werderland gegangen, den Ökopfad. Zwei Stunden. Wenn der Pfad zu schmal wird, dann schicke ich Cleo hinter mich und wir gehen zügigen Schrittes, ganz auf die Bewegung und die Ruhe konzentriert, ohne zivilisatorische Störungen (fast), durch unsere kleine Welt. Hat Anflüge von Selbstvergessenheit, ein hohes Gut. Und dann kommt uns, wie aus dem Nichts, irgendein halbblinder Honk auf seinem E-Bike entgegengeflogen. Der Hammer der Wirklichkeit hat wieder zugeschlagen. In solchen Situationen könnte ich schreien: Was willst du hier? Bleib in deiner Garage auf dem Heimtrainer! Bin ich arrogant? Gute Frage ...





Innere Unruhe, vermindertes Hungergefühl, Schlafstörungen?
Klarer Fall: Eine Sommerdepression. Zuviel Sonnenlicht. Die Melatonin-Produktion wird gedrosselt, alles gerät aus dem Gleichgewicht. Abgesehen davon ist Stress ein Faktor, der die Entstehung einer Depression begünstigt. Und wenn man im Sommer die Erwartung hat "Ich muss das genießen und alle um mich herum sind fröhlich und happy" - und die dann nicht erfüllt wird, bedeutet das großen Stress und Druck. 

(Quelle: Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie)


Tja, ich hab´s schon immer gewußt - Sommer ist scheiße.
Und die Sonne ist das größte Arschloch von allen ...

BRÜLL !!!






Da hab´ ich letzte Woche im Radio, Bremen Zwei war´s  wohl, einen kurzen Beitrag gehört. Im Auto. Also anfangs im Nebenbei-Modus, dann aber hellwach und interessiert. Ein kluger Mann, Philosoph oder Psychologe oder Sozialwissenschaftler oder alles zusammen, wurde gefragt, wie er die momentane Situation (Corona, Ukrainekrieg, Energienotstand) und deren Wirkung auf die Befindlichkeit der Menschen so einschätzt. Er hat gesagt, dass wir jetzt mit der Realität des Lebens konfrontiert wären. Und das, was wir in den letzten Jahrzehnten als selbstverständliche Sicherheit und Wohlstandsgarantie angenommen haben, zwar funktioniert hat, aber eine Illusion auf Zeit war. Man darf froh sein über diese Zeit, durchaus, aber diese Zeit ist nun vorbei und kommt auch nicht wieder. Man sollte und muss das akzeptierten. Sich in die nächste Illusion, in einen weiteren Selbstbetrug (ach, das geht vorbei, alles wird gut) zu flüchten zu versuchen, wäre ein Fehler. So der kluge Mann im Radio. Ich befürchte, da hadder recht. 

Paul Watzlawick mal wieder lesen: Anleitung zum Unglücklichsein. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Eine Erklärung der Wirklichkeit ist nur eine Erklärung und nicht die Wirklichkeit selbst.






Manchmal macht mich ihr Blick unsicher. 
Was denkt sie? Was weiß sie?
Ist das wirklich nur ein Hund?